Fall 5: Hamed Abdel-Samad / Facebook Ireland Ltd., Landgericht Berlin, Kammergericht Berlin
Am 28.11.2018, Hamed Abdel-Samad war gerade als Teilnehmer der Islamkonferenz in Berlin, sperrte ihn Facebook für drei Tage und löschte den nachstehenden Text als „Hassrede“. Ein ebenso absurder wie impertinenter Eingriff in die Meinungsfreiheit dieser wichtigen, klugen Stimme. Zwei Stunden nach Hameds Anruf bei mir war der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung in der Post. Hier die „Hassrede“:
Ihr Feiglinge!Viele junge Muslime/Muslimas leben im Westen und genießen die Vorzüge der Freiheit, setzen sie sich aber für diese Freiheit kaum ein. Viele sind gut gebildet und haben einen guten Job, bleiben aber in den Zwängen der Religion und der eigenen Community verhaftet. Ihre Bildung und Engagement stellen sie selten im Dienste der Aufklärung und des Gemeinwesens, sondern eher im Dienste des Islam oder der Parallelgesellschaft. Sie kritisieren die rechte Ideologie, solange sie von Bio-Deutschen kommt, aber wir hören von Ihnen kaum Kritik gegen die reaktionären Islamverbände, die nationalistischen Grauen Wölfe oder die patriarchalischen Strukturen in den eigenen Familien. Im Gegenteil, viele von Ihnen sind Krawatten-Islamisten, die Erdogan, die grauen Wölfe und die Muslimbruderschaft unterstützen und das Patriarchat verteidigen. Sie zitieren Kant und Adorno, um die Aufklärung zu relativieren und den Islamismus zu verniedlichen. Sie verlangen Sonderrechte für Muslime in Deutschland, lehnen aber die Minderheitenrechte für Kurden in der Türkei oder für Christen in der arabischen Welt. Selbst viele muslimische Intellektuelle und Journalisten sind in diesen Sippen verhaftet und werben ständig um Verständnis für den Islam und die Parallelgesellschaft statt ihre Leute mit Kritik herauszufordern. Selbst wenn diese Kritik manchmal kommt, ist sie oft leise und relativiert sich nach zwei Sätzen, indem die Debatte in Richtung Kampf gegen Islamophobie driftet.Migrantenkinder der zweiten und dritten Generationen wissen ganz genau was schief läuft in der Erziehung und in den Communities, und haben selbst oft darunter gelitten, nehmen aber ihre Leute sippenhaft in Schutz wenn Kritik von außen kommt. Statt Selbstkritik zu üben, geben sie den anderen die Schuld für die Misere. Die Frauenhäuser sind voll von entrichteten muslimischen Frauen, aber viele gebildete Muslimas machen eher Kampagnen für das Kopftuch und Burkini. Statt sich vom Joch der patriarchalischen Tradition zu emanzipieren, starten sie Initiativen und Projekte, um einen Propheten, der Frauen als Kriegsbeute nahm und ein sechs-jähriges Mädchen heiratete, als Vorbild für den modernen Menschen zu rehabilitieren!
Ich sage euch, ihr seid Feiglinge und Heuchler! Ihr seid keine freie mündige Bürger, sondern Untertanen eurer Religion und eurer Community! Und wenn ihr genauso vehement gegen die Missstände in eueren eigenen Reihen vorgehen würdet wie gegen Islamkritik, wäre diese Kritik überflüssig! Wenn ihr mehr Mut zeigen würdet statt Opferhaltung, wäre die Gesellschaft reicher. Wenn ihr euch für die Freiheit aller einsetzen würdet, statt nur Sonderbehandlung für euch zu verlangen, wäre viel gewonnen!
- Das Landgericht Berlin (55 O 331/18) hat den Erlaß einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. In unserem Rechtsmittel heißt es u.a.:
„Die Äußerungen ‚Feigling‘ und ‚Heuchler‘ als vermeintlich strafbare Beleidigungen iSd § 185 StGB oder auch als Verunglimpfung einzustufen, offenbart einen Abgrund sprachlicher und rechtlicher Inkompetenz….Der angefochtene Beschluß bedarf der Abänderung. Er beruht auf einer grundlegenden, vollständigen und für einen Spruchkörper der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland skandalösen Verkennung des grundrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit.“ - Das Verfahren ist jetzt beim 10. Zivilsenat des Kammergerichts anhängig, der Ende Januar über unser Rechtsmittel entscheiden dürfte.
- Mit Beschluß vom 15.04.2019 hat das Kammergericht den Erlaß einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Diese Entscheidung wirkt aber nur auf den ersten Blick negativ. Ausschlaggebend hierfür war allein der Umstand, dass Facebook die Sperre vom 28.11.019 auf Beschwerde von Abdel-Samad am Folgetag aufgehoben und den Beitrag wieder hergestellt hat. Dann bedürfe es, so der Senat, keiner einstweiligen Verfügung mehr, man könnte klagen. Wir teilen diese Einschätzung nicht. Unser Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung war zum Zeitpunkt der Wiederherstellung, nämlich schon am 28.11.2019, wenige Stunden nach der Sperrung, bei Gericht eingereicht. Facebook hat den Text im Prozeß als „an der Grenze zur Hasskriminalität“ liegend bezeichnet, der Senat hat das prozessuale Verhalten selbst als „durchaus widersprüchlich“ bezeichnet. Die abwegige Argumentation von Facebook, warum Löschung und Sperre erfolgt seien, vermöge, so das Gericht „kaum zu überzeugen“. Damit wurde zumindest eine eindeutige gerichtliche Äußerung erreicht, wonach der Kommentar von Abdel-Samad fraglos zulässig war.
„Die Auffassung, die Meinungsäußerung des Antragstellers bewege sich im Grenzbereich zur ‚Hassrede‘, ist schon deshalb schwer nachzuvollziehen.“
4. Der Beschluß enthält eine weitere wichtige und für viele Nutzer hilfreiche Klarstellung. Facebook versucht die Verteidigung seiner Nutzer damit zu erschweren, dass eine tausende von Euro kostende Übersetzung der gerichtlichen Schriftstücke verlang wird, da man in Irland kein Deutsch verstehe. Fast jeder Nutzer wird vor einem solchen Kostenrisiko zurückschrecken und aufgeben. Tatsächlich sind einige Gerichte auch auf diese Argumentation hereingefallen. Mit dem Kammergericht stelle sich jetzt ein weiteres Oberlandesgericht auf den Standpunkt, dass Übersetzungen nicht erforderlich sind. Das Gericht führt aus:
Im Übrigen könnte sich die Antragsgegnerin schon deshalb nicht darauf berufen, es hatte ihr eine in das Englische übersetzte Fassung der Antragsschrift zugestelit werden rnüssen, da nach den von ihr verfassten…Nutzungsbedingungen…im Verhältnis zu einem Verbraucher mit einem Wohnsitz in der EU die Gesetze seines Staates ausschlaggebend seien. Aus dieser Regelung und dem Umstand, dass die Nutzungsbedingungen auf deutsch verfasst sind und sich offenbar an die Nutzer im deutschsprachigen Raum wenden, kann eine konkludente Zustimmung der Antragsgegnerin angenommen werden, dass Streitfälle mit in Deutschland ansãssigen Nutzern, bei denen es sich um Verbraucher handelt, von Beginn an zulässigerweise in deutscher Sprache ausgetragen werden.