Fall 73: Karla W. vs Meta Platforms – Grundsatzentscheidung des Thüringer Oberlandesgerichts steht bevor

Dieser Prozeß gegen Meta Platforms Ireland ist aus mindestens zwei Gründen von erheblicher Bedeutung. Bislang liegt noch kein Urteil des Thüringer Oberlandesgerichts zu der Frage vor, ob die in Thüringen ansässigen Nutzer sozialer Plattformen sich im Eilverfahren wehren können, wenn Facebook & Co. sie sperrt oder ihre Beiträge löscht. Zuständig für private Nutzer ist nur das Gericht am Wohnsitz. Wer in Thüringen lebt, für den wird diese Entscheidung also „kriegsentscheidend“. Ohne Zugang zu Eilverfahren bleibt nur der Klageweg. Dann ist das Posting bei Obsiegen erst nach Jahren zurück und jede Sperre abgelaufen. Folge wäre, dass niemand mehr klagt, weil eine Wiederherstellung nach Jahren meistens uninteressant wäre. Die Plattformen hätten ihr Ziel erreicht: freie Bahn für Lösch- und Sperrwillkür. Wie entscheidet jetzt der 1. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts?

Rechtlich ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

Die Plattformen stellen „eine wichtige gesellschaftliche Kommunikationsplattform dar, deren Zugang fur Teile der Bevölkerung in erheblichem Umfang über die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entscheidet. Die Verwirklichung des zu Gunsten der Nutzer streitenden Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG hängt in erheblichem Maße von der Gewährleistung einer fortlaufenden, beständigen Nutzungsmöglichkeit ab. In Fallen der vorliegenden Art ist das Bestehen eines dringenden Bedürfnisses für eine Regelung im Wege der einstweiligen Verfügung aus dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemaß Art. 19 Abs. 4 GG begründet. Der Verweis auf die Durchfuhrung eines Hauptsacheverfahrens zur Rechtsverwirklichung ist insoweit unzumutbar.“

So das Berliner Kammergericht in einem von uns kürzlich erwirkten Beschluß.

Es gibt allerdings immer noch einige Oberlandesgerichte (zB Celle, Bremen, Hamm, Frankfurt, Rostock) die den Nutzern den Zugang zu Eilrechtsschutz nach wie vor verweigern. Glücklicherweise ist es uns gelungen, bei der Mehrheit der Oberlandesgerichte, beginnend mit dem OLG Stuttgart im Spätwinter 2019, anderslautende Entscheidungen zu erwirken.

Kurios: Dieselbe Nutzerin, die hier prozessiert, hat mit uns bereits ein Eilverfahren gegen Meta vor dem LG Erfurt rechtskräftig gewonnen, nachdem auch bei ihr ein populäres Zitat von Heinrich Heine gelöscht wurde. Jetzt entschied eine – andere – Einzelrichterin derselben Kammer gegen das Eilverfahren.

Die Berufungsverhandlung vor dem 1. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgericht findet am 30.03.2023 statt.

Der Streit dreht sich um ein Zitat, das bereits Gegenstand verschiedener früherer von uns geführter Verfahren war. Seit Juli 2021 ist Facebook – jetzt Meta Platforms – durch ein Urteil des LG Dresden (Meinungsfreiheit im Netz – Fall 22) rechtskräftig verboten, ein im Netz populäres Zitat des katholischen Publizisten Johann Joseph Görres (1776-1848), das oft irrtümlich Napoleon zugeschrieben wird, zu löschen. Das Urteil gilt nur zwischen den Parteien, also dem Nutzer und Meta Platforms. Seit Juli 2021 ist Facebook bekannt, dass jede Löschung von Inhalten und jede Sperrung, soweit sie nicht wegen strafbarer Inhalte erfolgt, rechtswidrig ist. Dies ergibt sich aus mehreren Urteilen des Bundesgerichtshofs aus Juli 2021. Am 07.07.2022 verbot das Oberlandesgericht Hamburg (Meinungsfreiheit im Netz – Fall 25) Facebook erneut die Löschung des Görres-Zitats, das lautet:

Es gibt kein gutmütigeres, aber auch kein leichtgläubigeres Volk als das deutsche. Zwiespalt brauchte ich unter ihnen nie zu säen. Ich brauchte nur meine Netze auszuspannen, dann liefen sie wie ein scheues Wild hinein. Untereinander haben sie sich gewürgt, und sie meinten ihre Pflicht zu tun. Törichter ist kein anderes Volk auf Erden. Keine Lüge kann grob genug ersonnen werden: die Deutschen glauben sie. Um eine Parole, die man ihnen gab, verfolgten sie ihre Landsleute mit größerer Erbitterung als ihre wirklichen Feinde.“

Das Oberlandesgericht führte in dem Urteil aus: „Es kommt jedoch hinzu, dass [Facebook]…nicht nur an ihren gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung unwirksamen AGB zur Löschung von Beiträgen und Sperrung von Nutzerkonten festhält, …sondern sogar ihre Sanktionspraxis auf Basis dieser rechtswidrigen AGB fortsetzt. Sie nimmt also Löschungen und Kontosperrungen gegenüber Nutzern vor, obwohl sie positiv weiß, dass dafür gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung keine rechtliche Grundlage besteht.“

Einen Tag später, am 08.07.2022, postete ein Nutzer das Görres-Zitat und verlinkte dazu den BILD-Artikel, der sich mit dem Urteil des OLG Hamburg befasst. Und Facebook: Löschte das Zitat und den Bild-Artikel als Hassrede und sanktionierte den Nutzer für Gruppen (30 Tage) und im Newsfeed (60 Tage). Dies ist Fall 67.

Dasselbe Zitat wurde in diesem Fall am 19.08.2022 gelöscht. Das Vorgehen von Meta ist vorsätzlicher, serienmäßiger Rechtsbruch.

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