Update 07.07.2022. Der 15. Zivilsenat des OLG Hamburg ändert mit Urteil vom heutigen Tage die Entscheidung des Landgerichts ab und gibt der Klage auf Unterlassung von Löschung und Sperre statt.
Mal setzt es 30 Tage Sperre, mal nur einen Tag, auch wenn die Inhalte identisch sind. Dieser Fall zeigt die krass abweichende Behandlung der Nutzer und dokumentiert, wie sehr Facebook diskriminiert und damit die Rechte der Nutzer aus Art. 3 GG (Gleichheitsgrundsatz) verletzt.
Odina L. wohnt in Hamburg und wurde für das nachstehene Posting, ein fälschlich Napoleon zugeschriebenes Zitat, für einen Tag gesperrt. Hassrede sei das. Das historische Zitat stammt tatsächlich von Johann Joseph Görres, einem einflussreichen katholischen politischen Publizisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
„Es gibt kein gutmütigeres, aber auch kein leichtgläubigeres Volk als das deutsche. Zwiespalt brauchte ich unter ihnen nie zu säen. Ich brauchte nur meine Netze auszuspannen, dann liefen sie wie ein scheues Wild hinein. Untereinander haben sie sich gewürgt, und sie meinten ihre Pflicht zu tun. Törichter ist kein anderes Volk auf Erden. Keine Lüge kann grob genug ersonnen werden: die Deutschen glauben sie. Um eine Parole, die man ihnen gab, verfolgten sie ihre Landsleute mit größerer Erbitterung als ihre wirklichen Feinde.“ (Der Elba-Exilant) – Gepostet aus Solidarität zu Angelika Hornig, Maurice Philip Remy, Barbara Woellner und Alexandra Margalith, die für dieses Posting von Facebook gesperrt wurden. Cora Stephan und Christiane Soeler wurde dieser Beitrag als Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards aus der Timeline gelöscht“
Johannes Lohmeyer wohnt in Dresden und wurde für ein im Kern identisches Posting für 30 Tage gesperrt. Was wir allerdings, vergl. Fall 22 von „Meinungsfreiheit im Netz“, bereits durch einstweilige Verfügung des LG Dresden untersagt haben. Beim Landgericht Hamburg ist man bislang der bemerkenswerten Rechtsauffassung, dass eine einstweilige Verfügung bei Löschungen und Sperrungen eine „Vorwegnahme der Hauptsache“ sei und daher geklagt werden müsse. Mit einem Ergebnis ist dann nach mehreren Jahren zu rechnen. Das OLG München hat diese verfehlte Rechtsauffassung in einem von uns erwirkten Beschluß wie folgt bewertet:
„Bei dieser Sachlage muss sich die Antragstellerin. nicht auf die Erhebung der Hauptsacheklage gegen die Sperrung verweisen lassen. Unter Berücksichtigung des gewöhnlichen Verfahrensgangs kann nahezu ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin bis zum Ablauf der auf 30 Tage befristeten Sperrung ein obsiegendes Urteil in der Hauptsache erstreiten könnte. Ihre Verweisung auf die Erhebung der Hauptsacheklage käme deshalb i.E. einer Rechtsverweigerung gleich.“
Eine solche Rechtsverweigerung muten die bislang mit diesen Verfahren befassten Kammern des Landgerichts Hamburg den Nutzern zu.
Wir haben daher im vorliegenden Fall Klage vor dem LG Hamburg erhoben.
Das Landgericht Dresden hat Löschung und Sperre in dem Parallelfall – zwischenzeitlich rechtskräftig – so bewertet:
“Es ist auch im Ansatz nicht erkennbar, warum die Wiedergabe eines Zitates von Johann Joseph Görres, einem einflussreichen Publizisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, den Gemeinschaftsstandards der Antragsgegnerin widersprechen kann….Unter Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist eine Sperrung des Accounts des Antragstellers im vorliegenden Fall daher nicht gerechtfertigt und zu untersagen….Die besondere Dringlichkeit der Untersagung ergibt sich daraus, dass der Antragsteller sein Konto benötigt und vollkommen unverständliche Sperrungen nicht hinnehmen muss.”
Die Zivilkammer 22 des Landgerichts Hamburg hat sich in diesem Fall alles andere als mit Ruhm bekleckert. Die Vorsitzende Richterin meinte in der mündlichen Verhandlung, eine Entscheidung wie die aus Dresden hätten sie ihren Referendaren zurückgegeben. Sie wies die Klage ab, da es sich um Hassrede handele. Natürlich sind wir in die Berufung gegangen. Das Oberlandesgericht Hamburg hat deutlich zu verstehen gegeben, dass es die Entscheidung des Landgerichts für falsch halte und der Klage in der Berufung stattgeben werden. Verkündungstermin 07.07.2022. Das ist das Ergebnis, wenn ein Gerichtsstand keine Eilsachen zulässt. Man muss zweieinhalb Jahre auf eine Entscheidung warten.
Update 07.07.2022. Der 15. Zivilsenat des OLG Hamburg ändert mit Urteil vom heutigen Tage die Entscheidung des Landgerichts ab und gibt der Klage auf Unterlassung von Löschung und Sperre statt.
Die Urteilsgründe haben es in sich. Dort wird Facebook / Meta klipp und klar als vorsätzlicher Rechtsbrecher bezeichnet (meine Worte). Der Senat führt wörtlich aus:
„Es kommt jedoch hinzu, dass die Beklagte nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin nicht nur an ihren gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung unwirksamen AGB zur Löschung von Beiträgen und Sperrung von Nutzerkonten festhält, indem sie diese offenbar bis heute unverändert lässt, sondern sogar ihre Sanktionspraxis auf Basis dieser rechtswidrigen AGB fortsetzt. Sie nimmt also Löschungen und Kontosperrungen gegenüber Nutzern vor, obwohl sie positiv weiß, dass dafür gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung keine rechtliche Grundlage besteht.“