Dieser Prozeß ist in zweifacher Hinsicht von erheblicher Bedeutung. Wegen des historisch hohen Ordnungsgeldes, das gegen Facebook Ireland Ltd. in der ersten Instanz verhängt wurde (nicht rechtskräftig, Status 16.11.2021) und weil der Versuch des Unternehmens, durch Taschenspielertricks die Zustellung von gerichtlichen Verboten zu verhindern, gescheitert ist.
Die Löschpraxis von Facebook von „Hassrede“, soweit es um Postings oder Kommentare geht, in denen der „dumme Deutsche“ o.ä. erwähnt wird, ist abenteuerlich. Kurze Beispiele, bevor wir zum Fall kommen. In sämtlichen Verfahren werden die Nutzer von „Meinungsfreiheit im Netz“ unterstützt, andernfalls würden die willkürlichen Löschungen wohl endgültig werden.
In der Sache LG Saarbrücken 4 O 282/21 hat Facebook nach Einleitung gerichtlicher Schritte den Kommentar
„Und der deutsche Dummichel nickt brav dazu!“
„aufgrund einer erneuten Prüfung und Neubewertung des Sachverhalts“ wiederhergestellt. Facebook erachtet die Äußerung plötzlich als zulässig und vertragskonform. Die „erneute Prüfung“ erfolgte, wie so oft, nachdem die gerichtliche Ladung auf dem Tisch lag. Vor diesem plötzlichen Gesinnungswandel wurde gelöscht und die Nutzerbeschwerde verworfen. In der Sache LG Saarbrücken 4 O 339/21 verteidigt Facebook dann aber die Löschung und die Sperre – ohne den Inhalt wiederherzustellen – der Äußerung
„Der dumme Deutsche gendert lieber.“
Diese Äußerung soll nun andererseits unzulässig sein. Vor dem Hintergrund dieser beiden Positionierungen von Facebook stellen wir jetzt die Frage, wie Facebook wohl die folgende Äußerung bewertet:
„Nur der dumme Deutsche befolgt demütig unsinnige Vorschriften.“
Diese Äußerung wurde Facebok vom LG Ellwangen (Beschluß 1 O 29/21 vom 26.03.2021) verboten. Facebook hat das Verbot ohne Rechtsmittel mit Abschlußschreiben vom 18.06.2021 als endgültige Regelung anerkannt, es ist rechtskräftig. Dieses völlig willkürliche, aber oft mit 30-Tages-Sperren einhergehende hat das Landgericht Saarbrücken so kommentiert (4 O 339/21):
„So sah etwa die Beklagte im zwischen den Parteien vor der Kammer geführten Parallelverfahren 4 O 282/21 die im Zusammenhang mit der Debatte zur Corona-Pandemie von ihr gelöschte Äußerung der dortigen Klägerin: „der deutsche Dummichel nickt brav dazu“ nicht als gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßend an, ohne dass ein Differenzierungsgrund ersichtlich ist. Weshalb die Beklagte der Auffassung ist, die Äußerung im Parallelverfahren sei verniedlichend und die Klägerin im Parallelverfahren habe sich anders als der hiesige Kläger mit der Gruppe der „Deutschen“ identifiziert, erschließt sich der Kammer nicht.“
In allen Verfahren in Saarbrücken hat Facebook nach Niederlagen in der ersten Instanz Berufung eingelegt. Dies ist eine eindeutige Zermürbungstaktik in der Hoffnung, dass denen, die es wagen, sich gegen das rechtswidrige Löschen und Zensieren zu wehren, Energie oder Geld ausgehen.
Der Protagonist dieses Verfahren kommentierte am 21.08.2021 in einem für den Rechtsstreit nicht bedeutsamen Zusammenhang:
Verfahrensverlauf in Kurzform:
Löschung und 30 Tage Sperre am 21.08.2021 durch Facebook wg. „Hassrede“.
Nutzerbeschwerde umgehend zurückgewiesen.
Abmahnung 23.08.2021.
Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung an das Landgericht Bonn 26.08.2021.
Erlaß der einstweiligen Verfügung durch die Zivilkammer 9 des Landgerichts Bonn bereits am 27.08.2021.
Zustellung der einstweiligen Verfügung an die gegnerischen Anwälte (Freshfields) von Anwalt zu Anwalt am 01.09.2021.
Annahmeverweigerung und Rücksendung Unterlagen durch Freshfields am 02.09.2021.
Erneute Zustellung an Freshfields per Gerichtsvollzieher am 10.09.2021.
Erneute Annahmeverweigerung und Rücksendung der einstweiligen Verfügung mit Schreiben vom 14.09.2021.
Dieses Spiel kennen wir aus zahllosen Verfahren. Das Oberlandesgericht Köln hat die von einer ähnlichen Motivation getragene Rücksendung gerichtlicher Unterlagen durch Facebook, die nicht ins Englische übersetzt waren, schon Anfang 2019 als Handeln bewertet, das „das Bild eines Unternehmens abrunden mag, welches sich Konsequenzen von Rechtsverstößen möglichst entziehen möchte.“
Ursache für diese Taschenspielertricks ist auch das Unvermögen des Gesetzgebers, die Zustellvollmacht in § 5 Abs. 1 Netz-DG (die sinnvoll ist) so eindeutig zu formulieren, wie ich dies mehrfach, und auch im Rechtsausschuß des Bundestages, vorschlug.
Hier noch einmal für die Bundestagsabgeordneten, die mitlesen, die wünschenswerte Formulierung des erneut zu novellierenden § 5 Abs. 1 Netz-DG, mit der sie die Gerichte erheblich entlasten und Millionen von Nutzern den Zugang zu wirkungsvollem staatlichen Rechtsschutz deutlich erleichtern würden:
In § 5 Abs. 1 NetzDG werden die Sätze 2 und 3 gestrichen. Die Vorschrift lautete dann: „Anbieter sozialer Netzwerke haben im Inland einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen und auf ihrer Plattform in leicht erkennbarer und unmittelbar erreichbarer Weise auf ihn aufmerksam zu machen.“
Aktuell kann an die Facebook-Anwälte zugestellt werden, „wegen der Verbreitung oder wegen der unbegründeten Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte“. Die Gegenseite retourniert so aktuell alle Zustellungen. Man habe ja nicht als rechtswidrig gelöscht, sondern wegen Verstoßes gegen die „Gemeinschaftsstandards“. Diesen Rechtsunsinn müssen wir jetzt in jedem Fall erneut bekämpfen.
In unserem Fall mit Erfolg. Wenn wie hier wegen „Hassrede“ gelöscht wird, geht der Streit auch um „rechtswidrige Inhalte“. Sagen wir. Daher war die Zustellung der einstweiligen Verfügung an die Anwälte von Facebook spätestens am 10.09.2021 wirksam. Da die Sperre aber bis zum 20.09.2021 weiterlief, als sei nichts geschehen und da auch der Inhalt nicht wiederhergestellt wurde, haben wir einen Ordnungsmittelantrag gestellt. Verstöße gegen gerichtliche Verbote werden mit Ordnungsgeld oder Ordnungshaft geahndet.
Und der (noch nicht rechtskräftige) Beschluß des LG Bonn vom 12.11.2021 lautete dann so:
Weiter führt das Gericht aus:
„Der Schuldnerin war der Beschluss der Kammer jedenfalls am 10.09.2021 zugestellt worden. Dennoch hat die Schuldnerin den Beitrag bis zum Ende der Sperrfrist von 30 Tagen nicht wieder hergestellt und den Gläubiger auch nicht zur Abgabe von Kommentaren zugelassen. Hierin liegt ein schwerwiegender Verstoß der Schuldnerin. In Anbetracht der Marktstärke der Schuldnerin erscheint der Kammer ein Ordnungsgeld in Höhe von 60.000,00 € auch nicht überhöht.“
Bitte führen Sie sich vor Augen, dass es hier „nur“ um die Löschung eines Kommentars ging und um weitere 10 Tage Sperre. Das Ordnungsgeld von € 60.000,00 entspricht unserem Antrag. Hier zeigt der Rechtsstaat, dass er über das Instrumentarium verfügt, institutionalisierte Rechtsbrüche und Umgehungsstrategien der IT-Riesen zu ahnden. Das Landgericht Bonn hat sehr schnell ein Verbot erlassen und dessen arrogante Mißachtung angemessen gehandet. Innerhalb von 24 Stunden war das Verbot erlassen. Es gibt auch Landgerichte in Deutschland, wo man bis zu vier Monate auf das Verbot warten muss. Und es gibt Oberlandesgerichte in Deutschland (Hamburg, Bremen, Hamm und Frankfurt), die unter völliger Verkennung elementarer Grundregeln den Zugang zu staatlichem Eilrechtsschutz verweigern und einstweilige Verfügungen gar nicht erst erlassen. Man könne ja klagen, meint man dort. Und nach zwei bis vier Jahren ein Urteil erlangen. Prima, wenn ein Kommentar zur Bundestagswahl 2021 dann zur nächsten Bundestagswahl wieder online sein muss.
Im Sommer erwirkten wir für einen Nutzer, der seine Prozeßkosten allerdings selber trug und nicht vom Fond unterstützt wurde, ein Ordnungsgeld von € 100.000,00 gegen YouTube, worüber auch in den USA berichtet wurde.
Weiterer Verfahrensverlauf:
Auf Widerspruch von Facebook vom 17.11.2021 hob das Landgericht Bonn mit Urteil vom 07.02.2022 die einstweilige Verfügung teilweise auf. Die von uns eingelegte Berufung zum OLG Köln hatte Erfolg und führte zum vollständigen Obsiegen im Verfügungsverfahren (OLG Köln 15 U 43/22 vom 29.09.2022).
In der weiterhin erhobenen Hauptsacheklage wurde Facebook bei voller Kostentragungslast mit Urteil vom 12.12.2022 zur Unterlassung verurteilt.
Den Ordnungsmittelbeschluß hob das OLG Köln auf, weil es der Meinung war, durch die Zustellung der einstweiligen Verfügung an die Anwälte von Facebook sei das Verbot noch nicht zu beachten gewesen, sondern erst nach Zustellung an Facebook in Irland. Das OLG Köln liess die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zu, die wir eingelegt haben. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg. Mit Beschluss vom 10.11.2022 hob der Bundesgerichtshof die Entscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG Köln zurück. Hier geht es vornehmlich um formale und prozessuale Fragen des von uns schon häufig als unzureichend kritisierten § 5 NetzDG, der die Zustellung an im Inland ansässige Verfahrensbevollmächtigte regelt.