Fall 74: Broder vs Bundesrepublik Deutschland – Broder siegt gegen Innenministerium

In dem Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz 2023“, den Innenministerin Nancy Faeser herausgegeben und auf der Website ihres Ministeriums veröffentlicht hat, wurde über den Publizisten Henryk M. Broder folgende Passage veröffentlicht:

„So machte sich beispielsweise der Autor des Artikels ‚Im Mauseloch der Angst‘ (Broder 2010) für eine uneingeschränkte Anwendung der Mei-nungsfreiheit stark, während er Aufrufe zur Deeskalation und Rücksichtnahme offen verhöhnte und Muslim*innen pauschal als unwissende, ehrversessene, blutrünstige Horden dämonisierte“.

Tatsächlich geschrieben hatte Broder, so berichtet Michael Hanfeld am 04.02.2023 in der FAZ („Broder siegt gegen Innenministerium„) „über die weltweiten gewalttätigen Unruhen nach dem Erscheinen des Romans ‚Die Satanischen Verse‘ von Salman Rushdie und später der Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung ‚Jyllands-Posten‘. Er zählte die Fatwa gegen Rushdie auf, das Kopfgeld, Anschläge auf Verleger und Übersetzer, bei denen Rushdies japanischer Übersetzer Hitoshi Igarashi ums Leben kam. ‚Millionen von Muslimen in aller Welt, die keine Zeile des Buches gelesen und den Namen noch nie gehört hatten, wollten das Todesurteil gegen den Autor vollstreckt sehen, je schneller, desto besser, um mit seinem Blut die beschmutzte Ehre des Propheten wieder reinzuwaschen‘, hieß es in dem Text.“

Nachdem das Innenministerium auf unseren Abmahnung nicht einlenkte und das Verwaltungsgericht Berlin den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ablehnte, hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg auf Antrag des Publizisten Henryk M. Broder die einstweilige Anordnung gegen das Bundesinnenministerium (BMI) erlassen (OVG 9 S 20/23).  Die Entscheidung erging am 31. Januar, Freitag ging der Bericht beim BMI offline.

In dem Beschluss heisst es:

„Jedenfalls dem unmittelbar an die Grundrechte gebundenen Staat verbietet es das allgemeine Persönlichkeitsrecht darüber hinaus aber auch, sich ohne rechtfertigenden Grund her-absetzend über einen Bürger zu äußern, etwa eine von diesem vertretene Meinung abschätzig zu kommentieren…Die entsprechenden Paraphrasierungen und Einordnungen sind von der Antragsgegnerin [der Bundesrepublik Deutschland] im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens selbst als polemisch überspitzter Satz und als bewusst zugespitzte Meinungsäußerungen bezeichnet worden, und zwar zu Recht. Mit der vom Antragsteller [Broder] gerügten Passage wird nicht nüchtern dargestellt und analysiert, sondern in einer Weise paraphrasiert und bewertet, die die Grenze zur Überzeichnung überschreitet und geeignet ist, den Antragsteller herabzusetzen…. Darin liegt ohne weiteres das stillschweigende Anerkenntnis, dass die Bundesrepublik die vom Antragsteller gerügte Passage in einer eigenen amtlichen Äußerung so nicht hätte verwenden dürfen. Das ist zu unterstreichen….Der allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Anspruch auf Unterlassung einer Äußerung setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen…erfolgt ist… Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Veröffentlichung des Berichts mit der beanstandeten Passage ohne hinreichende inhaltliche Distanzierung vor.“

Der Beschluss ist unanfechtbar.

In der FAZ werde ich wie folgt zitiert:

Das Oberverwaltungsgericht, sagte Steinhöfel auf Anfrage der F.A.Z., „attestiert Verfassungsministerin Faeser einen Grundrechtseingriff zu Lasten eines renommierten Journalisten. Das Innenministerium wurde mit gerichtlicher Hilfe gezwungen, diesen Rechtsbruch und die Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Herrn Broder zu beenden“. Welches Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit die Bundesregierung habe, so Steinhöfel weiter, „zeigt auch, dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wegen einer Meinungsäußerung gegen den Journalisten Julian Reichelt prozessiert, gleichlautende Äußerungen des ZDF aber nicht angreift. Die Causa Reichelt beschäftigt derzeit das Bundesverfassungsgericht.“

Wir danken allen Spendern von „Meinungsfreiheit im Netz“, ohne die dieses Verfahren nicht möglich gewesen wäre.

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